Montag, 13. Oktober 2008

Kreuz und quer.

Ich bin nicht nur ein Rabenpate, ich bin auch ein Rabensohn. Die überängstliche, dramatisierende und ständig Belanglosigkeiten plapperende Art meine Mutter ertrage ich nur in sehr kleinen Dosen, also alle paar Monate ein Nachmittag.

Da sie gerade mal wieder in der Stadt ist, um meiner Schwester mit ihren drei Kindern auszuhelfen, und mein Geburtstag ansteht, ließ sie es sich nicht nehmen mit mir auf Shopping-Tour zu gehen.

Keine Ahnung wie es anderen Söhnen mit ihren Müttern geht, aber ich habe es schon als kleines Kind gehasst, von ihr quer durch die Stadt von Geschäft zu Geschäft geschliffen zu werden. Heute hat sich daran eigentlich nichts geändert, außer das sie jetzt im Alter ein wenig ruhiger geworden ist und ich sie nicht schon nach wenigen Minuten einfach nur schütteln möchte - "hallo, Erde an Mam". Nicht nur plappert sie ständig, sie hört auch nicht zu.

Schon nach einer halben Stunde werden wir fündig. Ein netter schwarzer Anzug, dunkelgraues Hemd dazu, passt, raus hier. Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist, erwartet sie nicht, daß ich den Tag mit ihr verbringe.

Irgendwie tut sie mir leid. Sie kann genauso wenig aus ihrer Haut raus wie ich aus meiner und der Tag - blauer Himmel, Sonnenschein - ist wunderschön. Ich kann nicht so hartherzig sein. Ich zeige ihr die Stadt, meine Stadt, die Murinsel, das Kunsthaus, Kaffee-Trinken am Schloßberg im Starke-Häuschen. Die roten Sonnenschirme locken hunderte Marienkäfer an. Die kleinen Käfer scheinen die Sonnenschirme mit Paarungspartner zu verwechseln.

Ich spüre wie ich mit ihr Frieden schließe.

Von Schloßberg spaziere wir runter zur Josefs-Kirche und suchen in den Fensterbildern die Gesichter von Hitler und Mussolini, die der Maler dort versteckt hat. Sie hat auch davon gehört und findet sie als erste, links vom Altar in einer Kreuzungsszene.

Erst als sie weg ist, spüre ich wieviele Blicke ich auf mich ziehe. Kaum eine Frau, die mich nicht anstarrt. Die offenen Haare und der Robinson Crusoe-Bart, weißes Leinen-Hemd und schwarze Jeans, ich wirke wie der Heiland persönlich oder einer seiner Jünger - unangepasst und wild, der Typus Mann, den scheinbar viele Frauen anziehend finden, den sich aber die allerwenigsten ansprechen trauen.

Irgendwie ist das genauso verrückt. Alles, was mir im Weg steht, bin ich selbst. Ich fühle mich einsam und doch müßte ich es nicht sein, wenn ich nur über meinen Schatten springen und auch erste Schritte gehen würde.

Babyschritte zurück ins Leben. Ich weiß nicht wohin. Ich weiß nicht wie ich meine Zukunft gestalten soll. Vielleicht sollte ich reisen. Einfach los, rund um die Welt, bleiben, wo es gefällt, sonst weiterziehen. Doch alleine reisen, ist auch nur Flucht. Ich möchte das, was ich finde, mit jemanden teilen.

Oder doch endlich quer durch Spanien den Jakobsweg in Bildern einfangen. Ich wollte immer schon mal nach Spanien. Oder Irland. Ein paar Monate auf die grüne Insel. Ich realisiere immer noch nicht, das mir praktisch alles offensteht. Entscheiden und tun - mehr braucht's nicht. Anstatt dessen quäle ich mich. Lasse den grauen Wolken soviel Raum, das sie mich viel zu oft an den Abgrund treiben.

Als ich mir im Starcke-Häuschen Zigaretten bestellte, erzählte mir meine Mutter das Fred, der Lebensgefährte ihrer Schwester an Lungenkrebs erkrankt ist. Ein kompletter Lungenflügel ist zerstört und im Gehirn haben sich unzählige kleine Tumore gebildet. Vor kurzem wurde er Fünfzig. Mit Fünfzig darf man anfangen sich auf den Ruhestand in zehn Jahren zu freuen, sagte er. Er wird es nicht erleben.

Fünfzig. Es bestärkt mich in meinem Entschluß mir schon jetzt das eine oder andere Jahr meiner Zeit zu gönnen. Und das nicht nur, weil ich wie ein Schlot rauche.

Scheiße. Ich mag Fred. Er ist einer der wenigen Gutmenschen, die ich kenne. Ein liebenswerter Kerl. Seine Chancen sind praktisch Null.

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