Donnerstag, 22. Juli 2010

Reinhard Haller - Das ganz normale Böse.

Was ist das Böse und wie zeigt es sich? Auf kurzweilige Art plaudert Reinhard Haller aus dem Nähkästchen des Gerichtspsychiaters und zeichnet ein durchaus erkenntnisreiches Portrait des 'ganz normalen Bösen' an Hand konkreter Fälle aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Da ich momentan fast nur mehr trockene Fachbücher lese, kommt mir dieser - unerwartete - Ausflug in die Populärsparte gerade recht. Das 'ganz normale Böse' - also das mehr oder minder in mir selbst und jedem anderen präsente Böse - ist eins der Grundthemen, die mich in den letzten Jahren zum wiederholten Mal durch Psychologie, Psychotherapie, Neurowissenschaften wie auch Religionen getrieben hat. Warum machen Menschen, was sie machen und was lässt sich dagegen tun?

Der Ausflug war insofern unerwartet, da mich dieses Buch faktisch von selbst gefunden hat. Während eines Gesprächs über irgend etwas anderes, legte es mir neulich meine Schwester auf den Tisch und stapelte noch zwei Bücher darauf. Kein 'lies mal', kein 'schau interessant' - noch nicht mal irgendein Zusammenhang zu den Themen des Nachmittags. Nichts. Nur das Aufstapeln und das Mitnehmen des Stapels, als wäre das eine Art von eingeschworenem Ritual - eine Art von Mitgliedschaft in einem Lesezirkel, wie man es in Freundschaften manchmal findet. Von den Videostaffeln der 'Gilmore Girls' blieb ich allerdings verschont ...

Das tabuisierte Thema weibliche Gewalt, das Haller kurz anschneidet, erinnert mich an ein interessantes, autobiografisches Detail: mir ist noch keine Frau begegnet, die nicht irgendwann gewalttätig wurde. Die Bandbreite reicht von der 'gerechtfertigten' Ohrfeige bis hin zu Kindes- und Selbstmorddrohung inklusive Messerattacke. Gerade die Akzeptanz von Veränderung scheint manchen Menschen geradezu unmöglich und sie ergreifen jeglichen sich bietenden Ausweg und sei er - aus normaler Perspektive - noch so absurd. Subjektive Eintrübungen - die Verzerrung der Wirklichkeit durch an sich absurde Macht- und Besitzansprüche - machen schnell aus virtuellen Mücken reale, bösartige Elefanten.

Wirklich durch eine Frau bedroht, empfand ich mich nie. Das mag einerseits an meiner physischen Natur liegen, andererseits war da auch immer eine Art von Schuldbewußtsein, den anderen mehr oder minder in diesen Kontrollverlust getrieben zu haben. Aus friedfertigen Wesen, die gewöhnlich im wahrsten Sinn des Wortes keiner Fliege etwas zu Leide tun könnten, bricht sich Gewalt nicht "einfach so" Bahn. Die Umgebung und das konkrete Gegenüber ist fundamentaler Teil der Gleichung und somit verbleibt immer zumindest eine Teilschuld am Kontrollverlust. Dahinter steckt die rudimentäre Überzeugung das es zu jeder Eskalationsstufe genug Deeskalationsmöglichkeiten gibt. Ein simples 'der Klügere gibt nach' reicht dabei meist schon als Motivation. Das Nachgeben in der Eskalation ist dabei natürlich nicht mit dem Nachgeben der eigenen Position zu verwechseln. Der Klügere erkennt lediglich, das Gewalt und Kontrollverlust die Situation nur verschlechten.

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