Donnerstag, 24. Juni 2010

Das Vaterunser Anno 2007

Es ist wirklich erstaunlich wie erheblich (!) verändert und gekürzt sich das Neue Testament heute in vielen Versionen präsentiert.

eklatantes Beispiel: das Vaterunser aus dem Lukas-Evangelium Kapitel 11 / Herder-Bibel 2007

Vater, dein Name sei geheiligt, Dein Reich komme.
Gib uns täglich unser notwendiges Brot.
Und vergib uns unsere Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der uns schuldet.
Und führe uns nicht in Versuch.

Krawuzikapuzi ... in der Lutherbibel 1545 liest sich das noch so:

Vnser Vater im Himel. Dein Name werde geheiliget. Dein Reich kome.
Dein wille geschehe / auff Erden wie im Himel.
Gib vns vnser teglich Brot jmerdar.
Vnd vergib vns vnser Sünde / Denn auch wir vergeben allen die vns schüldig sind.
Vnd füre vns nicht in Versuchung. Sondern erlöse vns von dem Vbel.

In der neuen Version begegnet der Mensch Gott nicht mehr demütig (Dein Wille geschehe), sondern mit einem fast geschäftsmäßigen, frech fordernden Ton. Das ist praktisch die religiöse Variante des "Hey, gib mir, Alter (weil's mir aus Selbstvollkommenheit zusteht)": keine Demut, kein Repekt, keine Selbsterkenntnis, das Erlösung Not tut und das es überhaupt so etwas wie einen Himmel, eine spirituell auch erfahrbare andere Welt, gibt. Durch die Streichungen wird Sinn, Zweck und Geist (die entsprechende Geisteshaltung) des Gebets in meinem Augen vollständig karikiert. Anstatt des demütig gebeugten Kopfes, reckt sich das Ego in luftige Höhen (gib mir, gib).

In der neuen Version entsteht übrigens auch der Eindruck, das die eigene Seite des Deals nur daraus besteht, denen zu vergeben, die einem selbst etwas schulden. Das "Dein Wille geschehe auf Erden" in der alten Version zeigt jedoch noch eine ganz andere Seite auf: das man sich diesem Willen (dem Willen Gottes) unterwirft, also das man vor hat, in Zukunft nicht wieder zu sündigen und gelebten Altruismus zu praktizieren. Dieses Element der Erkenntnis des eigenen Fehltritts, der bewußten Reue und demütigen Umkehr fehlt Anno 2007.

Man muß wirklich nicht Bibelkenner und/oder gläubiger Christ sein, um die Vergewaltigung des Sinns zu sehen. Und dabei ist es nicht nur irgendwo eine unwichtige Passage, an der herumgestrichen wird, sondern das zentrale Gebet von mindest drei noch immer lebenden Christengenerationen. Es gibt kein christliches Fest, keinen Gottesdienst, nichts, wo es nicht vorgetragen wurde und wird. Obwohl ich nur in meiner Kindheit einem regelmäßigem Gottesdienst beigewohnt habe, haben sich gerade dieses Gebet - und was es bedeutet - tief in mein akkustisches und emotionales Gedächtnis gegraben. Hunderte, ja tausende Male habe ich es gehört und ich kenne den Geist, der diese Worte spricht. Wird das in manchen Kirchen neuerdings so gekürzt und verschandelt vorgetragen? Das wäre natürlich noch unverschämter ...

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